Thessaloniki – mal was anderes!

Die zweitgrößte Stadt Griechenlands ist für viele Reisende einfach ein Zielflughafen auf der Durchreise nach Chalkidiki oder ein Tagestrip auf einer Tour mit dem Kreuzfahrtschiff durch das östliche Mittelmeer.

Für uns ist es der Besuch bei unserer Tochter, der das Ziel bestimmt, und uns für eine Woche sehr zentral mitten in der Stadt verweilen lässt.

Es ist Oktober und Thessaloniki empfängt uns mit einem lauen Lüftchen, angenehmen 25 Grad und einem überraschend modernen Flughafen. Schneller als ich es von den Griechen erwartet hätte, kreiseln schon kurz nach Eintreffen der Passagiere in der Flughafenhalle die Koffer auf dem Gepäckband und finden innerhalb kürzester Zeit ihre Besitzer. 

Ein routinierter Taxifahrer wuchtet unser Gepäck in seinen Kofferraum und startet schwungvoll die etwa 18 km bis zur Innenstadt. Multitaskingfähig verfolgt er Musikvideos auf dem kleinen Display am Cockpit, funkt mit den Kollegen und kann sogar noch den Verkehr im Auge behalten. Hut ab!

Hier gibt es jede Menge Einbahnstraßen, sogar dreispurige. Je näher wir unserem Ziel im Herzen Thessalonikis kommen, desto schmaler werden die Straßen und desto intensiver wird jeder Zentimeter Bordstein als Parkmöglichkeit genutzt.  

Mitten auf einer Kreuzung dreht sich der Fahrer fragend zu uns um: „Hier?“, bezweifelt er unseren Zielwunsch. 

Wir erhaschen kurz einen Blick auf das zerbeulte Straßenschild und nicken zustimmend. Kurz darauf rollen wir eilig die Koffer von der Straße, damit die Schlange an Autos hinter uns wieder Fahrt aufnehmen kann.

Unsere Ferienwohnung befindet sich in einem dreistöckigen Mehrfamilienhaus.
Blickt man Richtung Himmel, sieht man rund um alle Gebäude kleine

Balkone, auf denen die Wäsche im Wind flattert und die Tauben auf den Geländern kleine Pläuschchen halten.

Satellitenschüsseln mit scheinbar ins Nichts führenden Kabelenden. Klimaanlagen, die vor sich hin brummen. Mal mehr und mal weniger gesunde Grünpflanzen, die für das gemütliche Ambiente sorgen sollen, neben spindeligen Tischen und Stühlen und Putzutensilien.  

Die elektrischen Leitungen treffen sich in der Mitte der Kreuzung zu einer komplizierten, aber hoffentlich gut durchdachten Konstruktion. 

Hinter der schweren Eingangstür führt eine breite Treppe ins eigentliche Treppenhaus. Es riecht nach Mittagessen und nach etwas, was ich freundlich ausgedrückt als Katzenpipi identifizieren würde. 
Drei Stockwerke später erkunden wir etwas erschöpft unser Feriendomizil. Gar nicht mal so schlecht. Hier würden wir es für eine Woche sehr guthaben. 

Die Wohnung hat drei kleine Balkone, bei denen ich mich auf keinem sicher fühle. Gibt es denn hier nicht eine Mindesthöhe für Balkongeländer? Und können diese nicht etwas undurchlässiger gebaut sein? Hohe Ausblicke ohne sichere Barrieren lassen mich schwindeln. Ich rette mich zurück in die Wohnung.  

Und bitte, wozu sind die vielen losen Kabel und Gerätschaften, die auf dem Balkon untergebracht sind, gut? Hm. Ich würde wohl vom Sofa im Wohnzimmer bei geöffneter Balkontür das Treiben auf der Straße verfolgen. 

Das Wetter ist unerschütterlich wunderbar. Bei strahlendem Sonnenschein spazieren wir am nächsten Morgen als erstes zum Meer. Die 4,5 km lange Promenade ist für mich ein großes Highlight der Stadt.
Wir starten am alten Hafen, in dessen Lager- und Werkshallen sich heute Museen, Ausstellungen und Restaurants befinden.
Hier lässt sich sehr gut der erste Frappé des Tages oder ein Frühstück mit Blick auf die Bucht genießen. 


Weiter geht es am prunkvollen Aristotelous Platz vorbei bis zum Weißen Turm. Bis hierhin herrscht einspuriger Autoverkehr und entsprechend quirlig und voll fühlt sich diese Strecke auch an.  

Der Weiße Turm ist das Wahrzeichen der Stadt und der Besuch lohnt sich schon allein wegen der Aussicht in alle Richtungen. Das ehemalige Gefängnis beherbergt heute ein Museum mit vielen Exponaten über Kunst und Geschichte Thessalonikis zwischen dem 4. und 15. Jahrhundert. 

Die anschließende neue Promenade Neo Paralia, wurde 2013 fertiggestellt und bietet verschiedene Kunstinstallationen, die zum Fotografieren einladen. Am auffälligsten ist die „Metal Umbrella“, eine riesige Metallkonstruktion aus Regenschirmen, der Brunnen davor, am Abend die rote Lichtinstallation oder die riesige Statur von Alexander dem Großen. 

Die gesamte Strecke bis zur Konzerthalle am anderen Ende ist für Fußgänger, Fahrradfahrer und kleinere Mofas reserviert. Besonders im Sommer lässt es sich hier unter Schatten spendenden Bäumen entspannt schlendern. 
Der Weg zurück zu unserer Ferienwohnung führt uns durch ein unglaublich lautes Straßenlabyrinth mit vielen Menschen und Fahrzeugen.
Es gibt nur wenige Fußgängerampeln an der dreispurigen Straße. Wir lernen schnell, dass man einfach losgeht, wenn irgendwo weiter rechts oder links für die Autos rot ist. Definitiv ein gutes Argument für die Einbahnstraßenregelung. 

In „unserem“ Viertel reihen sich viele, sehr kleine Geschäfte oder Handwerksbetriebe aneinander. Manchmal passt gerade so ein Regal, ein Schreibtisch mit vielen Stapeln Papier und ein Stuhl mit einem Menschen darauf hinein. 

Eines dieser Minibüros scheint Tag und Nacht geöffnet zu sein. Wir geben dem anwesenden Herrn gedanklich den Beruf des Steuerberaters.  
Egal, wann wir daran vorbeilaufen: „Unser Steuerberater“ ist immer „im Dienst“. Eine funzelige Lampe beleuchtet ab 21.00 Uhr die Schreibtischlandschaft, der Zigarettenqualm taucht alles in ein schummeriges Licht und der Berg der Papiere scheint stündlich zu wachsen.

Nebenan gibt es einen Obst- und Gemüseladen, in dem die bunte Ware auf Holzregalen bis auf den Bürgersteig quillt. Kleine Supermärkte, in denen man sich an Stapeln mit Waschmitteln, Mehl, Zucker und Süßigkeiten zur Kasse vorbeischlängelt. Für mein deutsches Auge eine unübersichtliche, eigenwillige Ordnung. 


Es gibt auffällig viele Barbiere und Friseure, die sich genauso lebhaft und lange miteinander unterhalten, wie sie Haare oder Bärte schneiden. 

Und zu meiner Freude entdecke ich alle paar Meter ein Café. 

Dabei darf man sich von der äußeren Aufmachung nicht täuschen lassen. Die Hightech-Espressomaschine macht den großen Teil der Einrichtung aus und ist definitiv das Wertvollste im ganzen Laden. Spärliche, manchmal wackelige Tische und Stühle sind in den Rest des Raumes gequetscht oder großzügig auf dem Bürgersteig verteilt. Aber der Kaffee ist in allen Variationen einfach großartig. 

Und der eisgekühlte Frappé ist im Sommer das Lieblingsgetränk vieler Griechen. 

Die Stadt ist das Zuhause von vielen Tauben und noch mehr Katzen.
Es ist unmöglich den pelzigen Vierbeinern aus dem Weg zu gehen.

An vielen Straßenecken stehen Näpfe, die von den Einheimischen regelmäßig gefüllt werden und in den Restaurants betteln sie mit schief gelegtem Kopf und mit einem Blick zum „Dahinschmelzen“ um eine Leckerei.

Eines Abends huscht dann sogar eine Ratte auf der Suche nach etwas Essbarem direkt vor uns über die Straße in den nächsten Hinterhof.

Huh, schon ein bisschen unheimlich! Das möchte ich eigentlich nicht so genau wissen und schon gar nicht live miterleben

Am folgenden Tag ist unser Ziel die Altstadt, Ana Poli. Dieser Bezirk in der Oberstadt ist das einzige Viertel, das bei dem großen Brand von 1917 nicht verwüstet wurde. 

Der Weg dorthin führt uns durch ein sehr modernes Thessaloniki. 

Die Aristoteles Universität mit ihren 50.000 Studenten verleiht der Stadt einen jugendlichen Charme; Restaurants, Cafés und Boutiquen säumen die Straßen und kleine Parks laden zum Verweilen ein. 

Je höher man in Richtung Akropolis wandert, desto kleiner und uriger werden die Gebäude. Die Straßen werden zu Sträßchen, es wird ruhiger und beschaulicher und die Atmosphäre ist fast dörflich.

Neugierig lassen wir uns treiben

Dort, wo es spannend und verwunschen aussieht, biegen wir ab, stetig bergauf. Nach einem kurzen Anstieg über viele Treppenstufen erreichen wir den Gingirli-Turm.

Stadt und Hafen breiten sich schon jetzt wie ein bunter Teppich vor uns aus. Von hier ist es nur noch ein Katzensprung zur Akropolis mit seinem Monument Heptapyrgion.

Die Festung mit den sieben Türmen wurde ab dem 19. Jahrhundert bis 1989 als Gefängnis genutzt.
Von den Türmen hat man noch einmal einen beeindruckenden Panoramablick über das gesamte Stadtgebiet bis zum Meer. 


Ein paar Schritte weiter, immer entlang der Stadtmauern, trifft man auf das byzantinische Vlatádon-Kloster, das seit 1988 Teil des UNESCO Welterbes ist. Es wird heute noch von Mönchen bewohnt und liegt 140m über dem Meer. 

Mit einem großartigen Ausblick auf die Altstadt pausieren wir einen Moment. Wir sitzen inmitten von Grün und lauschen dem Vogelgezwitscher. Kaum zu glauben, dass wir uns hier in einer Großstadt befinden.

Das wird uns erst wieder klar, als wir auf dem Heimweg durch das Zentrum laufen. Es ist laut und quirlig, Straßen und Gehwege platzen aus allen Nähten, vollgestopft mit Autos, Motorrädern, Fahrrädern und Fußgängern. 

Die vielen Mehrfamilienhäuser sind nicht höher als ca. 7 Stockwerke und stehen sehr eng aneinander. Die meisten haben einen „Rundumbalkon“, überfüllt mit Pflanzen, flatternder Wäsche, Tischen, Stühlen und Schränken. 

Zwischen den gleichförmigen Häuserreihen „stolpert“ man überall unerwartet über viele historische Relikte:

Kleine und auch größere Kirchen, Ausgrabungen, historische Mauern, kleine Türmchen oder begrünte Plätze.
Sie wirken, als hätte sie jemand willkürlich in die Stadt gestreut, ohne auf ausreichend Platz für eine standesgemäße Präsentation zu achten. 

Viele Menschen sind unterwegs in Richtung Meer und Promenade, an der man am Abend den freischaffenden Musikern zuhört, mit einem Getränk auf einer der vielen Bänke aufs Meer blickt oder sich mit Freunden zum Essen trifft. 

Apropos Essen: In unserer Ferienwohnung werden wir von niemandem bekocht. Wir machen uns also allabendlich noch einmal auf den Weg, um die kulinarischen Highlights der Stadt zu kosten.

Der Imbiss um die Ecke wirbt mit Bratwurst, Sauerkraut und Currysauce im Vollkornbaguette. Hm, … lecker? Vielleicht doch eine zu spezielle Kombination. 

Wir probieren uns lieber durch die typische griechische Küche mit Salat, Zaziki, kleinen Vorspeisen, Käse und Fleisch in allen Variationen. Für besondere Anlässe und die echten Feinschmecker gibt es Restaurants mit raffiniert angerichteten Leckereien auf großen Tellern, für die man dann auch ein kleines Vermögen bezahlt.

Als Abschluss jeder Mahlzeit ist der hervorragende griechische Kaffee immer eine gute Wahl. Wer möchte, legt vorher noch einen Gang mit zuckersüßen, verführerisch aussehenden Desserts ein. 

Je nach Stimmung, Geschmack und Vorlieben ist für alle etwas dabei. 

Das letzte Licht des Tages lockt uns jeden Abend zur Promenade. Die rauschende Metropole Thessaloniki liegt hinter uns, das Meer vor uns. Es kehrt Ruhe ein. 
Der Himmel färbt sich von blau nach hellblau zu rosa, orange und rot und die Sonne verschwindet majestätisch am Horizont. 

Thessaloniki ­– mal was anderes!

Wir erlebten eine interessante und abwechslungsreiche Woche, die viel zu bieten hatte: Stadt und Meer, Geschichte und Moderne, Ruhe und Aktion und ­– das Beste von allem – ein Wiedersehen mit unserer Tochter.