Erlebnisurlaub „All-inclusive“

Vor unserem Abflug in den Süden war uns nicht klar, was „All-inclusive“ im Detail bedeuten kann. 🙂

Das Taxi hielt mit quietschenden Reifen vor dem beeindruckenden gläsernen Eingang des Hotels, das uns für ein paar Tage als Ausweichquartier diente.
Unser privat gebuchtes Apartment war noch nicht verfügbar, also wollten wir uns vorab hier ein bisschen verwöhnen lassen.

Nach einem mehrsprachigen Check-in-Prozedere, ein paar Unterschriften und der Bezahlung für ein Zimmer, das wir bis dato noch nicht gesehen hatten, bat der routinierte Mitarbeiter gestikulierend um unser Handgelenk. 

Etwas irritiert hielten wir unsere Arme über den Tresen. 
Schwups – baumelte ein pinkfarbenes, labberiges Stoffarmband mit dem Logo des Hotels daran.
Wir sahen uns an. Handschellen?

Nein, wir waren die, die ausschließlich am Frühstück teilnehmen durften.
So hatten wir es gebucht. Zu diesem Zeitpunkt ahnten wir noch nicht, wie gut diese Entscheidung war. 
Unser „Status“ war für die Dauer des Aufenthaltes für alle sichtbar, denn entfernen ließ sich das „Geschmeide“ nur mit einer Schere.
Und die hatte ja jeder Pauschalurlauber immer im Gepäck. Logisch! 

Kurz darauf wuchteten wir unsere Koffer treppauf, treppab, und über eine kleine Brücke inmitten von viel Grün, zum Eingang unseres Urlaubsdomizils. 

„Das ist ja ganz hübsch gemacht hier, die Anlage!“, war der Kommentar meines Mannes als wir außer Atem vor der Zimmertür standen. 

Diese schwang quietschend auf und gab den Blick auf einen kleinen Flur frei. Gerne wären wir in begeistertes Staunen ausgebrochen. 

Doch die hochgelobte Kanarensonne hatte uns an diesem Tag leider im Stich gelassen, so dass unsere Suite auf den ersten Blick in einem eher düsteren, muffigen Licht erschien.

Wir strebten zum Balkon, um ein bisschen Meeresbrise und Helligkeit hereinzulassen. Leichter gesagt als getan. Die Balkontür bewegte sich zunächst wenig, aber dafür wackelte die große Glasscheibe heftig im Rahmen. 

„Uihuih … vorsichtig, sonst hast du gleich die Scheibe auf dem Arm“, warnte ich meinen Mann bei seinen Anstrengungen. 

Mit vereinten Kräften bekamen wir den Durchgang auf den Balkon frei. Unser Blick richtete sich ins Grüne, aber leider der Sonne abgewandt. 

Dafür hatten wir eine gute Sicht auf den „Splashpark“, der in regelmäßigen Abständen seine Wasserfontänen aktivierte. 
Der mangelnde Sonnenschein schien kein Hindernis für die lieben Kleinen zu sein. Die aktuelle Geräuschkulisse erinnerte an die erschreckten Schreie von Menschen bei einer Achterbahnfahrt im Dauerregen. 

Der Boden des Balkons war mit Laub übersät, aber dafür wuchsen in der Abtrennung zur Nachbarsuite kleine Tomaten. Waren wir „Nur-Frühstücker“ da auch berechtigt zu probieren?

Etwas ernüchtert schlossen wir die Balkontür. Die Katalogbilder des Hotels hatten eindeutig mehr Brillanz und Gemütlichkeit vermittelt.

Na ja, für fünf Tage und Nächte ist es okay. Und die Meerblickzimmer waren ja auch schon nicht mehr frei gewesen.
Dann ist es jetzt wohl so, versuchten wir uns die Sache schön zu reden und machten uns auf den Weg zu unserem Lieblingsrestaurant am Hafen. Der Abend endete versöhnlich. 


Der nächste Morgen versprach zum Glück etwas Sonne, die bereits vorsichtig durch die Gardinen blinzelte. Vielleicht ließ sie auch unsere Bleibe in einem anderen Licht erscheinen?

Ich hörte meinen Mann ins Bad gehen. 

Kurz darauf schepperte es. Ein verärgerter Fluch. Danach ging die Dusche an und das Wasser rauschte leise. Ich versuchte den Lärm zu ignorieren, drehte mich auf die andere Seite und dämmerte noch einmal weg.

Doch nach ein paar Minuten wurde ich durch einen Aufschrei endgültig wach. Das darauffolgende Krachen und Splittern ließen mich erschrocken aus dem Bett springen.
Mit wachsender Panik lief ich ins Bad, um der Geräusche auf den Grund zu gehen. 

Das Szenario glich einem Tatort: Unser Badezimmer lag quasi in Schutt und Asche. Der duschende Gatte stand inmitten circa 100.000 Glassplittern, nackt, nass und eingesperrt im losen Duschrahmen, den er mit einer Hand vor dem Umfallen bewahrte.

Blut tropfte langsam aus seinem rechten Knöchel und seine Gesichtsfarbe glich der weiß gekachelten Wand hinter ihm. 

„Ich habe nichts gemacht und nicht mal die Duschabtrennung berührt, man wird sich ja noch einseifen dürfen …“, stammelte er leicht geschockt und um Fassung bemüht. 

Da kam er allein nicht mehr raus. 

Ich drapierte ein Duschhandtuch auf die Scherben am Fußboden, um ihn aus dieser prekären Situation zu befreien. Er lehnte die unbrauchbare Duschtür an die Wand und hangelte sich vorsichtig am Waschbecken vorbei auf sicheres Terrain. Geschafft!

Puh. Dieses Zimmer war lebensgefährlich. Scherben sollen ja angeblich Glück bringen. In so hoher Anzahl und Verteilung allerdings bezweifelte ich jegliches Glückspotenzial. 

Langsam beruhigte sich mein rasender Puls und noch im Schlafanzug eilte ich zur Rezeption.  

Der freundliche Rezeptionist hörte sich die Schilderung der morgendlichen Vorkommnisse ungerührt an. Kurz schnellte seine rechte Augenbraue nach oben, er nickte und signalisierte einen Hauch von Verständnis. Dann griff er zum Telefonhörer. Meine Spanischkenntnisse halten sich in Grenzen, aber er war offensichtlich auf der Suche nach einer Alternativunterkunft mit funktionierender Dusche. 

Kurz darauf erhielt ich den Schlüssel für eine andere Junior-Suite.
„Das ist gutes Zimmer, eines unserer Besten“, kommentierte er die Übergabe. 

Ich machte mich auf den Weg, um mir die neue Bleibe anzusehen. Dabei fiel mir auf, dass seitens des Hotels keinerlei Bedauern, Entschuldigung oder gar erschrockene Aussagen über den maroden Zustand unseres Zimmers geäußert wurden. Eine kurze Nachfrage, ob es dem duschenden Ehegatten denn gut gehe oder man vielleicht mit einem Pflaster für den blutenden Knöchel aushelfen dürfe, vermisste ich auch. 


Mein Mann spekulierte als freundliche Wiedergutmachung auf ein Fläschchen spanischen Rotwein.
Das wäre doch eine ansprechende Überraschung und ich fand die Idee sehr gut. 

Wir zogen also mit unseren Siebensachen – wieder treppauf, treppab – in die hochgelobte wunderbare Suite mit Poolblick. Sie war spiegelverkehrt eingerichtet und viel heller. Schön so weit. 

Nach diesem ersten ereignisreichen Morgen hatten wir ein gutes Frühstück und einen leckeren Kaffee dringend nötig. 

Der Speisesaal befand sich direkt am Pool und bot sogar ein paar Plätze im Außenbereich. Jetzt kam das pinkfarbene Armbändchen, das mit einem routinierten Blick der Kellner gecheckt wurde, zum Einsatz. Wir wurden eingelassen. 

Das Buffet war reichhaltig, es gab alles, was das Herz begehrte: von Müsli über Brot, Brötchen und Eiervarianten bis zu den unterschiedlichsten Heißgetränken. 

Die Winzigkeit, die fehlte, diese entscheidende Zutat war die Leidenschaft zum Schönen und zur Qualität. 

Es krümelte, klebte und kleckerte, sowohl am Büffet als auch auf dem Fußboden: überall!  

Plastikstühle schabten auf Fliesen und sehr viele Menschen bewegten sich kreuz und quer durch den hellhörigen Raum, so als wären sie auf der Flucht, oder als gäbe es morgen nichts Essbares mehr. 

Jetzt waren wir froh über unser pinkfarbenes Frühstücksarmband.
Wie würde hier wohl das Mittag- oder Abendessen aussehen?
Sicher hätte es mit spanischen Tapas, frischem, gegrillten Fisch oder knackigen Salaten mit aromatischen Tomaten wenig zu tun.

Kurz tauchten Bilder von in bräunlicher Soße schwimmenden Fleischstücken, fettigen Pommes und panierten Fischen vor meinem geistigen Auge auf. 
Ein Mittag- oder Abendessen war hier wirklich nicht erstrebenswert und käme einem Spießrutenlauf im Kantinenambiente gleich. 

Die nächsten Tage scherzte mein Mann noch über die ausstehende Kiste ­edler spanischer Weine – von Tag zu Tag wurde es eine Flasche mehr –, die die Hotelleitung uns doch sicher noch als Entschädigung für die Duschkatastrophe zukommen lassen wollte. 

Aber jedes Mal, wenn wir die Suite betraten, war von der Weinlieferung weit und breit nichts zu sehen. 

„Bestimmt liefern sie die Weine direkt zu uns nach Hause. Sehr vorausschauend von der Hotelleitung. Wie sollen wir auch so eine umfangreiche Flüssigkeitsmenge im Koffer transportieren, total umständlich“, orakelte er. 

Nach fünf Tagen rafften wir unsere Habseligkeiten zusammen und entfernten mit Freude das pinkfarbene Mahnmal an unserem Handgelenk.

Erleichtert verließen wir die schluderige Suite und mit ihr eine Hotelanlage, deren Ambiente sich maximal auf Jugendherbergsniveau bewegte.

In der Lobby rief man uns aus Richtung der Rezeption ein kurzes herzloses „Adios“ hinterher. Und schon waren wir entlassen.

Unsere Heimatadresse hatten wir bereits am Ankunftstag auf einem Formular angeben müssen.

Vielleicht hatten wir nicht leserlich genug geschrieben, denn bis heute ist die Auswahl spanischer Weine nicht bei uns angekommen.

Merkwürdig … 😉