California dreaming – „Hochzeit to go“

Für uns war völlig klar, dass wir niemals heiraten würden! 

Dabei lag es gar nicht an der Tatsache, verheiratet zu sein. Es war viel mehr der Weg dorthin, der uns so gar nicht behagte.

In unserem Bekannten- und Verwandtenkreis hatten wir bereits einige Hochzeiten erlebt und mitgefeiert. Doch die bloße Vorstellung von einer Hochzeit, mit uns in der Hauptrolle des Brautpaares, in schickem Schwarzweiß gekleidet, wollte einfach nicht harmonieren. Die Vision von einer festlichen, erwartungsvollen Kirchenzeremonie, von Reden und traditionellen Spielchen und einem Fototermin ließ uns erschaudern. Niemals verschwendeten wir einen Gedanken ans Heiraten. 

Bis zur Planung unseres Sommerurlaubs 1995. 

Unsere Vorfreude auf eine dreiwöchige Tour durch Amerikas Westen war groß. Die Flüge waren gebucht, der Camper reserviert und die Koffer gedanklich schon gepackt. 
Während unserer Routenplanung, ein paar Wochen vor Abflug, hatten wir eine vage und vielleicht auch sehr verrückte Idee: Es wäre doch ziemlich cool, diese Reise mit einer Trauung zu verbinden. Einfach so. Mal eben. Ohne weißes Kleid, ohne schwarzen Anzug, ohne alle, und ohne alles Drumherum. Amerika – das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, oder?

Sollen, können, wollen, dürfen wir das wirklich machen?

Wir stellten uns das alternative Szenario, sollten wir es hier Zuhause zelebrieren, nochmal bildlich vor: 

Viele Wochen vor dem großen Tag gäbe es einiges an Organisation zu erledigen. 
Neben den Behördengängen wäre zu überlegen, in welchem Rahmen, mit wie vielen Menschen und mit wem man feiern möchte. Traditionell von Donnerstag bis Samstag?
Eine Polterhochzeit? Die Einladungen müssten entworfen und geschrieben werden, Räumlichkeiten gemietet und ansprechend dekoriert werden, ein Schlemmerbüfett, eine Hochzeitstorte ausgesucht und bestellt werden, Fotograf, Blumen, Trauzeugen, ein Kleid, ein Anzug, Ringe … puh!

Es gäbe sicher Diskussionen mit der Mutter, der Schwiegermutter oder anderen freiwilligen Helfern über „wichtige“ Dinge wie die Tischdekoration, die Sitzordnung, wer welchen Kuchen für das Mitternachtsbüfett backt und warum ein DJ besser als eine Liveband wäre. Und jeder wäre sich sicher, dass seine Idee die Richtige sei. 
Wir waren uns einig. Die Perspektive, uns hier – womöglich im Wonnemonat Mai – auf den Weg zum Standesamt zu machen und im Anschluss das komplette, große Hochzeitstamtam abzuarbeiten, klang immer noch nicht besonders verlockend und schon gar nicht nach dem angeblich „schönsten Tag im Leben“. 

Mit diebischem Vergnügen packten wir unsere Geburtsurkunden – und wegen eines bisschen Restetikette einen Schlips und das geblümte Sommerkleid – zu den Reisepässen und lasen nach, was es bei Hochzeiten im Ausland sonst so zu beachten gab. Nicht viel. Umso besser. Es konnte losgehen. 

Vielleicht gab es unterwegs die Gelegenheit, sich zwischen zwei amerikanischen Highlights „zu trauen“. Wenn nicht, war es auch nicht tragisch, große Vorbereitungen wollten wir jedenfalls nicht noch zusätzlich treffen. 

Es war der 10. August 1995 als unser Flieger elegant in Richtung Los Angeles schwebte.

Nach einem Begrüßungs-Margarita und einer nächtlichen Stadtrundfahrt in der Metropole L.A. starteten wir am nächsten Tag unsere Tour. 

Wir waren auf breiten Highways unterwegs und besuchten Amerikas Nationalparks. Unser Tag begann meistens sehr früh, wir bewunderten bei Sonnenaufgang das Farbenspiel über dem Grand Canyon und bestaunten aus der Vogelperspektive des Hubschraubers die großartige Landschaft.  

Eine Wanderung durch den spektakulären Arches Nationalpark mit seinen gigantischen Natursteinbögen ließ uns winzig und unbedeutend erscheinen. Wir waren beeindruckt von so viel Naturgewalt, von der Weite und Stille der Landschaft. 

Ein Ort, der auch nur annähernd nach einer Heiratsmöglichkeit aussah, war uns bis dahin nicht begegnet, aber unser Hochzeitsoutfit, das unangetastet im Einbauschrank des Campers lag, schien uns jeden Morgen zuzuflüstern: „Allzeit bereit für einen Einsatz“. 


Kurz hinter Las Vegas besuchten wir ein Casino, um auch diese touristische Spielerei einmal erlebt zu haben. Bei der Fahrt durch die Stadt entdeckten wir am Straßenrand dann tatsächlich mehrere Wedding Chapels. Sofort kamen mir Filme mit turbulenten Junggesellenabschieden und Kurzschlusstrauungen in den Sinn. Doch auch, wenn wir es nicht allzu feierlich mochten, diese „Glitzer-Blitzhochzeits-Variante“ kam auf keinen Fall in Frage. 

Schon bald führte uns unser Weg wieder in Richtung Küste. Nach einem Abstecher ins Death Valley, wo wir für einen kurzen, sehr schweißtreibenden Spaziergang haltmachten, genossen wir mehrere Tage den beeindruckenden Yosemite Nationalpark mit seinen Granitfelsen, Riesenmammutbäumen und Wasserfällen. 

Eine kurvenreiche Weiterfahrt, stetig bergab, über zwei Pässe, manchmal tückisch nah am Abgrund, aber immer mit großartigem Ausblick, führte uns nach South Lake Tahoe. 

Der Ort stand gar nicht auf unserer Tourenliste, doch beim ersten Anblick entpuppte er sich als landschaftliches Highlight, von dem wir spontan begeistert waren. Auf der Suche nach einem Campground entdeckten wir sogar einige sehr hübsche Hochzeitskapellen. 
Ganz klar: Dieses Fleckchen Erde wollten wir näher kennenlernen.  

Der nächste Morgen begrüßte uns mit strahlendem Sonnenschein. Wir sahen uns an: Jetzt war der Moment gekommen. Wenn das kein gutes Omen für eine Hochzeit war. Hier und heute würden wir uns in einer der Kapellen erkundigen, ob und wie was möglich ist. 

Unser Vorhaben wurde zunächst durch das Dumping ­– sprich der Camper musste von Schmutzwasser befreit werden – gebremst … nicht unbedingt ein angemessener Beginn für einen potenziellen Hochzeitstag. Aber was muss, das muss. 

Und dann war es endlich so weit: 
Ein paar Meter die Straße herunter stand ein Schild: „Wedding Chapel and Licenses!“
Wir trauten uns hinein. 

„What can I do for you? Would you like to marry today?” …

…, fragte die freundlich lächelnde Dame am Empfang. 
Today? Sofort heute? Wir sahen uns sprachlos an und waren von unserer eigenen Courage ein bisschen überrumpelt. So schnell ist das also möglich? Na ja, … ja warum nicht?!

Der Gedanke an ein paar Trauringe kam uns in den Sinn. Unbedingt, die brauchten wir vorher noch. Wir vereinbarten nach kurzem Zögern einen Termin für 15 Uhr und fuhren aufgeregt in die Stadt, um uns nach Juwelieren umzusehen. (Wahrscheinlich war man hier sowieso ständig auf „Spontanheirater“ wie uns vorbereitet.)
Beim dritten wurden wir fündig und entschieden uns für ein schlichtes, goldenes Design.

An welcher Hand wird der Ring eigentlich getragen? Unter den anwesenden Kunden, Verkäufern und uns begann eine lebhafte Diskussion. Die Amerikaner beteuerten, links sei korrekt, während wir der Meinung waren, dass er in Deutschland überwiegend rechts getragen wird. Niemand hatte eindeutige Gründe für die ein oder andere Seite und wir einigten uns lachend darauf, dass sowieso die Bedeutung für das Paar das Wichtigste sei. 

Zurück bei der Wedding-Paradise-Chapel kam das Outfit für die Zeremonie zum Einsatz. Das hieß: Ich schlüpfte in das geblümte Sommerkleid. Im Grunde bin ich keine Kleid- und Rockliebhaberin und komme mir damit immer ein bisschen „verkleidet“ vor, aber für diesen Anlass erschien es mir irgendwie angemessen.

Mein zukünftiger Mann zog seine besten Jeans an, ein rotes, kurzärmeliges Hemd und den eigens für diesen Zweck eingepackten bunten Schlips. Perfekt! 
Haare? Make-up? Ach was, das wird völlig überbewertet. Es wurde „in natura“ geheiratet. 

Wir heiraten heute! Das fühlte sich schon etwas schräg an. Mussten wir da jetzt noch einmal drüber nachdenken? Nein, sicher nicht.    

Entschlossen betraten wir das Büro des Ministers. Seine Sekretärin Nancy, die auch als unsere Trauzeugin fungierte, war schon da. Wir füllten ein paar Papiere aus und wurden gefragt, ob wir in der Chapel oder im Garten heiraten möchten. Im Garten natürlich: Sonne, blauer Himmel, 25 Grad warm. 



Und dann ging es tatsächlich los: 
Taataatataaaa, taataatataaaa …

… die traditionelle Hochzeitsmelodie erklang und der Weg zwischen zwei weiß gestrichenen Bankreihen, der zu einem kleinen Gartenpavillon führte, lag vor mir. Es war die klassische Situation, die man aus amerikanischen Schnulzenfilmen kennt: Der Vater der Braut führt die in weißen Tüll gekleidete Tochter zum Altar, in gemessenem Schritt, feierlich und mit konzentriertem Gesichtsausdruck. 

Ich hingegen strebte beschwingt in Richtung Pavillon. Mich hinderte kein ausladendes Kleid und es gab auch keinen väterlichen Begleiter, der mich von meiner enthusiastischen Geschwindigkeit abhalten konnte. Das hieß: Mein Gang war etwa doppelt so schnell wie gedacht, auf jeden Fall im Takt der Musik, aber eben ein wenig zackiger. 

Warum musste man überhaupt mit andächtigem Tempo in Richtung Bräutigam schreiten? Ehrlich gesagt hatte ich mir über diesen Teil der Zeremonie keine Gedanken gemacht. Aber mein Bräutigam und Minister Sjogren sahen mir so filmreif und erwartungsvoll entgegen, als wäre dies tatsächlich eine Szene in einem Hollywoodblockbuster. 

Ich kam also schneller als die Musik endete – und als alle erwarteten – am Pavillon an. 
Für einen Moment standen wir etwas verdutzt voreinander, lächelten uns nervös an und ließen Lohengrins Brautchor geduldig bis zum letzten Takt erklingen.  

Was dann geschah, kann ich nicht mehr so genau wiedergeben. Der Minister sprach, auf Englisch, die Dinge an und aus, die bei einer Vermählung so gesprochen werden.

Es gab eine kurze Andacht und die entscheidende Frage rückte näher. Mein Zukünftiger erzählte mir im Anschluss, dass er genau in diesem Moment sehr nervös wurde: Antwortet man nun: „Yes I do“ oder “With this ring I thee wed” oder einfach nur „Yes“ oder doch „Yes, I will“. Zu spät der Recherche: Wir antworteten intuitiv an der richtigen Stelle mit „JA“, bzw. „YES“ und tauschten die Ringe. 

So schnell kann es gehen. Zack, verheiratet!

Nach der Trauung wurden noch ein paar Fotos geschossen. Der Minister persönlich positionierte uns auf einer kleinen Brücke mit Gartenblick und drückte auf den Auslöser. Damals war es immer auch ein bisschen eine Überraschung, was viele Tage nach dem Urlaub auf den Abzügen zu sehen war. Es gibt drei Fotovarianten vom Hochzeitstag. 
Das sind bis heute auch die einzigen bildlichen Beweisstücke dieser Trauungsaktion. 


Nach ein paar Tagen mit Meerblick auf dem Highway No. 1 und einem Städtetrip nach San Francisco, hieß es Abschied nehmen. Drei erlebnisreiche, sehr entspannte und auch aufregende Wochen gingen zu Ende.

Wir waren sehr glücklich mit uns und unserer Urlaubsgestaltung. 

Auf dem Rückflug …

… hatten wir viel Zeit, darüber nachzudenken, wie wir unsere spontane Verwandlung von ledig zu verheiratet der Familie, Freunden und Arbeitskollegen beibringen konnten.  

Der erste Zwischenstopp vom Flughafen nach Hause führte uns zu unseren Eltern. Nur Mut!

Es gab ein großes „Hallo“, und meine Mutter empfing uns ganz unbedarft mit den Worten: „Ach, jetzt habe ich außer Sekt gar nichts zu trinken im Kühlschrank!“ 
Das war eine eindeutige Steilvorlage für unser Geständnis: „Kein Problem, mach mal auf, das ist genau das richtige Getränk für diesen Anlass …“
Mein Vater musste auf die frohe Botschaft noch ein paar Tage warten, da er sich im Ausland befand. Als er dann das Wort Hochzeit vernahm, hatte er gar nicht richtig zugehört und begab sich automatisch in den Keller, um auf diesen „Schreck“ („Sie wollen tatsächlich heiraten …!“) ein Fläschchen Schnaps zu organisieren. Erst mit dem vollen Glas in der Hand begriff er, dass die „Kinder“ längst verheiratet vor ihm standen. 

Unsere Überraschung war gelungen und alle haben super reagiert. Die Gratulationen kamen von Herzen und wir waren sehr erleichtert. Das Unternehmen „Hochzeit“ war geglückt!

Und wenn uns jemand fragt … ja, wir würden es genauso wieder tun! 

Übrigens: Bis heute trägt mein Mann seinen Ring an der linken Hand, während meiner die rechte Hand ziert.