Judith Hermann, Daheim

Daheim! Ein schlichter Titel und definitiv kein Fast-Food-Buch, das man schnell verschlingt und vergisst.

Die Ich-Erzählerin, deren Namen wir Leser:innen nicht erfahren, erinnert sich an Vergangenes. Sie berichtet von ihrem Leben in einer Großstadt, in der sie in einer Zigarettenfabrik gearbeitet hat. Eines Tages ergibt sich aus heiterem Himmel die Möglichkeit, mit einem Zauberer auf einem Kreuzfahrtschiff auf Tour zu gehen. Sie muss sich entscheiden.
Sie erzählt von ihrer Ehe und der Trennung, als die gemeinsame Tochter Ann erwachsen wurde.
Jetzt lebt sie auf dem Land an der See in einem baufälligen, kleinen Haus.
Regelmäßig schreibt sie ihrem Exmann kleine Briefe, erzählt wie es ihr geht in ihrem neuen Leben und mit den wenigen Menschen, allein am Meer.

Was und wo ist DAHEIM?

Wo fühlen wir uns zuhause? Und was ist Erinnerung? Kurze Momente glücklichen, schrecklichen, markanten Erlebens? Stimmungen? Gerüche? Blicke? Sind es kurze Lebenssequenzen, die wir uns als Erinnerung passend zurechtrücken?

„Und trotzdem war diese Erinnerung die Erinnerung an eine Fremde gewesen, an jemanden, den ich gar nicht kannte, dem ich nie begegnet war. Wer war sie. Wo kam sie her, und wo war sie hingegangen, nachdem die MS Aurora ohne sie abgelegt hatte, und warum um alles in der Welt hatte sie das mitgemacht, warum hatte sie sich in diese Kiste gelegt und in zwei Hälften teilen lassen. Otis, hätte ich gerne gesagt. Ich hätte gerne geflüstert. Otis. Warum hat sie vor nichts Angst gehabt.“

Das 189 Seiten umfassende Buch ist ohne wörtliche Rede geschrieben und schon deshalb sehr speziell.
Judith Hermann schreibt schlicht und unaufgeregt, der Norddeutsche würde sagen: ohne Gedöns, gespickt mit einem Hauch Melancholie, mit skurrillen Charakteren und manchmal in einer merkwürdigen, bedrückenden Atmosphäre.

Interessant! Anders! Besonders! Und gut geschrieben!