Zu verschenken …
Letzte Woche hatten wir uns auf der Suche nach einem speziellen Werkzeug zu weit in die Tiefen unseres Untergeschosses vorgewagt. Fast hätten wir im Tohuwabohu die Orientierung verloren und mir wurde klar, warum pfiffige Menschen ihr Eigenheim ganz ohne Keller planen.
Es war allerhöchste Zeit, mal wieder „klar Schiff“ zu machen:
Beim Anblick des Sammelsuriums in den drei großen, schummrigen Kellerräumen zuckten wir kurz zurück.
Und wenn wir doch einfach die Tür wieder schließen …?
Nein! Jetzt oder nie. Wir krempelten die Ärmel hoch:
Alte Pinsel, Farben, Dosen, Putzlumpen, angeschlagene Übertöpfe, defektes Kinderspielzeug – das Kind ist mittlerweile 25! -, die undichten Gummistiefel und Teppichreste wanderten schnell und ganz eindeutig in die Tonne.
Danach wurde es schwierig:
Ein hübsch-hässlicher Spiegel mit Beleuchtung, durchaus reparabel, gewichtig und sonst noch intakt. Der Elektro-Rasenmäher, schon älter, aber funktionsfähig. Zwei Lattenroste, ein bisschen eingestaubt, aber sonst noch tipptopp. Eine große Kiste Bilderrahmen in unterschiedlichster Couleur, zwei zweifelhaft schöne Bilder mit Rahmen von Rosina Wachtmeister, ein Korbsessel, das Kasperletheater, alte Koffer … puh.
Wie konnte das passieren? Gefühlt haben sich diese Dinge ganz ohne unser Zutun im Keller heimlich vermehrt und sind unbemerkt bis in die hintersten Ecken gekrochen, um hübschen Spinnennetzen Raum zu geben und unauffällig einzustauben.
Vieles war zu schade, um es zu entsorgen. Allerdings auch zu gebraucht, um Geld dafür zu verlangen. Aber vielleicht konnte noch jemand etwas damit anfangen:
Verschenken wir es doch!
Am gleichen Abend war mein Ebay-Kleinanzeigen-Account um einige Anzeigen im „ZU-VERSCHENKEN-Modus“ reicher.
Und sehr schnell bekam ich Post von Menschen, die das ein oder andere noch gebrauchen konnten.
Komplett schleierhaft war mir allerdings das „Ambiente“ im Nachrichtenbereich. Irgendwie vermittelte mir der Umgangston den Eindruck, als würde man sich schon jahrelang kennen. Groß- und Kleinschreibung schien auch kollektiv unbekannt zu sein. Ich konnte froh sein, wenn die Leute ihr Interesse in ganzen Sätzen kundtaten. Dabei waren Satzzeichen ein überflüssiges Stilmittel. Und die Grußformel? Da verlangte ich wohl Übermenschliches.
Auf unsere Lattenrostanzeige erreichte uns folgende Nachricht:
„Hallo, wann kann ich die abholen?“
Ich vergewisserte mich, dass mit „die“ die Lattenroste gemeint waren, und wir verabredeten uns für den nächsten Nachmittag, 17.00 Uhr. Wir warteten.
Um 17.40 Uhr schrieb ich den Herrn nochmals an. Die Antwort: „Ich komme gleich!“
Ja, ja … nur kein Stress.
Eine weitere halbe Stunde später kreiste ein Auto um den Block. Es ist nicht so, dass ich die Anfahrt zu unserem Haus undeutlich beschrieben hätte. Und auch unsere Hausnummer ist ca. 30 cm groß und sehr gut lesbar. Die meisten Autos besitzen außerdem sowas wie ein Navi und jedes Handy … ach, egal.
Wir winkten dem potenziellen Lattenrostkandidaten also heftig entgegen und siehe da, es war der zu beschenkende Wortkarge.
Er schnappte sich die beiden Lattenroste (ja in der Tat BEIDE auf einmal) und trug sie zum Auto. Mit Ach und Krach und der Einsicht, eventuell den Vordersitz doch umlegen zu müssen, quetschten wir die Ware in das Gefährt. Und tschüss!
Der Rasenmäher war wirklich beliebt. Die schnellste Nachricht lautete:
„Hallo ist es noch zu haben schicken sie die genaue Adresse, ich komme vorbei. Lg“
Prima, ich freute mich. Das suggerierte doch, dass die Person bereit ist, gleich ins Auto zu springen und in nur wenigen Minuten hier sein zu können.
Weit gefehlt.
Nachdem ich unsere Adresse mit Lagebeschreibung – die Lattenrostgeschichte ließ mich ausschweifende Anreisebeschreibungen verfassen – und der Frage, wann mit einer Ankunft zu rechnen sei, versendet hatte, passierte erst einmal gar nichts.
Ein paar Stunden später erreichte mich folgende Nachricht:
„Ich kann leider heute nicht mehr tut mir leid ich bin gerade in Hintertupfingen und weiß nicht wie lange das dauert.“
Aha!
Ich erkundigte mich bei der Person nach einem günstigeren Zeitpunkt für die Übergabe.
Diese Mail muss in den Weiten des Internets verloren gegangen sein, denn ich habe bis heute keine Antwort mehr erhalten.
Aber so schnell gaben wir nicht auf. Gerade der Rasenmäher war von großem Interesse.
Also die nächste Kandidatin:
„Hallo ja … gerne würde ich den gleich nehmen … würden Sie mir bitte Ihre Adresse schicken?“
Natürlich gern. Meine Nachfrage: „Kommen Sie jetzt gleich?“
Etwas später folgten diese Reaktionen, selbstverständlich dazwischen immer mit einer informativen Antwort meinerseits:
„Aber der funktioniert noch der Rasenmäher?“
„Ist der einfach zu bedienen?“
„Mäht der gut?“
Noch etwas später:
„Ich habe leider kein Auto und müsste schnell jemanden oder was organisieren.“
Eieiei … Also schlug ich den folgenden Tag zur Abholung vor, der mit Freude umgehend bestätigt wurde.
Wir warteten. Irgendetwas machten wir falsch. Es ist niemand erschienen. Auch auf unsere Nachfrage gab es keine Rückmeldung.
Am nächsten Morgen erreichte mich dann eine neue Nachricht der verschollenen Rasenmäher-Kandidatin:
Das Internet habe nicht funktioniert, sie habe kein Auto und wenn sie nicht gerade frisch entbunden hätte, hätte sie den Mäher ja auch zu Fuß abgeholt …
Ähem. Ganz ehrlich. Verschenken ist kompliziert.
Die Kiste mit den Bilderrahmen und diversen Übertöpfen war da noch die leichteste Übung.
Sie stand den gesamten Samstag am Straßenrand und am Abend waren nur noch 2 Bilder übrig. Na, geht doch. Der hintere Keller war schon wieder ohne Hindernislauf erreichbar.
Dann stand noch der Spiegel im Weg.
Die erste Anfrage, wie er denn zu befestigen sei, wurde von mir mit anschaulichen Bildern und Detailbeschreibungen zufriedenstellend geklärt.
Spieglein, Spieglein an der Wand … und tatsächlich: Es gibt noch Menschen von schnellen Entschlüssen und Taten. Auf die Frage, wann der Spiegel zu besichtigen sei und meine umgehende Antwort „Am liebsten sofort!“, fuhr wenig später ein bis oben vollgestopfter Kombi vor. Die kurze Musterung des Spiegels ließ den Fahrer den Rücksitz umklappen und das „Geschenk“ sanft auf einen Kissenstapel betten.
Perfekt. Der Glaube an die Menschheit ist zurück.
Der Keller offenbarte auch eine geheimnisvoll aussehende dunkelbraune Plastiktüte. Sie diente seit Jahrzehnten als „Garage“ für ca. 30 Matchboxautos, die schon diverse Kilometer auf den unterschiedlichsten Kinderzimmerfußböden gefahren und dabei – ganz offensichtlich – in den ein oder anderen Unfall verwickelt waren.
Bei ihrem Anblick bekam mein Mann feuchte Augen, schob einen „Guy-Warrior-Car-Transporter-Truck“ probeweise über den Teppich und schwelgte in Kindheitserinnerungen: „Hier, guck, zu dem hier gehört noch ein Anhänger. Ah da! Und dann rückwärts einparken. Großartig!“
Das war auch das Feedback der Ebay-Nutzer. Die alten, angeschlagenen Autos fanden sogar für den ein oder anderen Euro sehr schnell einen neuen Besitzer mit Sammelleidenschaft.
Funktionierte das Verkaufen vielleicht doch viel besser als das Verschenken?
Als Ebay-Kleinanzeigen-Anbieter schweben die Attribute Zufriedenheit, Zuverlässigkeit, Antwortzeit, Freundlichkeit und Nachhaltigkeit als anschauliche Diagramme wie ein Damoklesschwert über dem Account. Optimierung ist gefragt.
Also: Bestenfalls nonstop im Onlinemodus Fragen beantworten, erklärende Bilder senden, Angebote verhandeln, Termine vereinbaren und Zahlungsmodalitäten abklären. Puh …
Nachdem der letzte Porsche, Volkswagen und Kadett verkauft war, musste unbedingt eine verschenk- und verkaufsfreie Pause her.
Anzeigenschluss!
Bis zum nächsten Mal, denn es ist zu befürchten, dass sich in Keller und Dachboden über kurz oder lang sicher wieder diverse Kuriositäten, die es zu verschenken gilt, ansammeln.